Dieser Artikel wurde ursprünglich am 3. Juli 2020 auf Medium veröffentlicht.
In den letzten Jahren ist Nachhaltigkeit oder auch Sustainability zum neuen Schlagwort der Wirtschaft geworden. Viele Unternehmen investieren massiv in etwas, das man als „Nachhaltigkeitstransformation“ bezeichnen kann. Nachhaltigkeit wird nun als etwas Strategisches betrachtet. Im Jahr 2018 haben satte 86 % der S&P-500-Unternehmen Nachhaltigkeitsberichte veröffentlicht, und der Anteil nimmt weiter zu. Nachhaltigkeit war auch das zentrale Thema des Davoser Gipfels 2020, auf dem die führenden Politiker:innen der Welt eine größere Vision für den Stakeholder-Kapitalismus entwickelten. Einige Unternehmen haben mit bewussten „Nicht-Markt“-Strategien begonnen, indem sie verstanden haben, dass Akteur:innen jenseits ihres eigenen Marktes das Endergebnis beeinflussen (Ökosystemdenken).
Für Wirtschaftsführende ist die Nachhaltigkeitstransformation nicht nur eine ethische Entscheidung, sondern auch eine geschäftliche Notwendigkeit, um in den 2020er Jahren und darüber hinaus zu überleben. Dies zeigt sich zum Beispiel in der breiten Unterstützung der Unternehmenswelt für #blacklivesmatter mit Werbung und Investitionen für Gleichberechtigung. Sie können es sich nicht leisten, diesem Thema keine Aufmerksamkeit zu schenken.
Nachhaltigkeit kann ein Win-Win-Szenario sein, denn Investitionen in die Nachhaltigkeit sind gut für die Wirtschaft und für den Planeten als Ganzes. Nachhaltigkeit ist auch eng mit einem Ziel verbunden, nach dem Organisationen und Einzelpersonen, insbesondere Millennials, heute mehr denn je suchen und sich damit auseinandersetzen. Was wäre ein größerer Zweck, als unseren Planeten vor der Klimakrise zu retten und mehr Glück in der Welt zu schaffen?
Wir sind nicht auf dem richtigen Weg
Die nackte Tatsache ist, dass wir derzeit nicht auf dem richtigen Weg sind, um die für 2030 gesetzten Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Auch wenn die COVID-19-Krise viele positive Nebeneffekte für das Klima mit sich gebracht hat, erreichen wir im Großen und Ganzen derzeit nicht die 17 SDGs, die von der UN im Jahr 2015 festgelegt wurden. Wenn sich die Länder der Welt mehr nach innen wenden, erwarten wir von den globalen Unternehmensführern und Organisationen, dass sie mehr Führung und Verantwortung in Sachen Nachhaltigkeit übernehmen. Die Politik und Vorschriften ändern sich nicht schnell genug, dennoch könnten und sollten die Unternehmen dies eigenständig tun. Nachhaltigkeit ist aus rechtlicher Sicht nicht immer verpflichtend, aber aus der Perspektive des Kundenwertes gewinnt sie immer mehr an Bedeutung. In einer EY-Publikation heißt es, dass zu den wichtigsten Vorteilen der Nachhaltigkeit(-sberichterstattung) ein besserer Ruf, eine stärkere Treue für Mitarbeitende und den Kundenkreis, sowie eine klarere Strategie und Vision gehören.
Abbildung 2: Wie die Nachhaltigkeitsberichterstattung nach EY-Publikationen einen Mehrwert brachte
Strategien für Nachhaltigkeit
Laut Professor Mike Rosenberg gibt es sechs verschiedene strategische Optionen für Nachhaltigkeit, die Unternehmen anwenden können. Um zu verstehen, welche Strategie angewandt werden soll, muss bewertet werden, welche Art von Umweltsensibilität im Ökosystem der Organisation vorhanden ist – zum Beispiel im Kundenkreis, bei Mitarbeitenden, Investierenden und anderen Interessengruppen. Eine der Strategien ist „das Gesetz brechen“. Im Jahr 2020 ist dies aber für die meisten Organisationen keine praktikable Option.
- Die Low-Road-Strategie. Bei dieser Strategie hält sich das Unternehmen nur an die Gesetze und Vorschriften des jeweiligen Landes. Das Unternehmen reagiert nur, wenn die Aufsichtsbehörde es verlangt. Aus rechtlicher Sicht ist diese Strategie grundsolide, aber sie kann für Nachziehende langfristig teuer werden, da sich die Vorschriften zwangsläufig ändern werden.
- Abwarten und beobachten. Bei dieser Strategie blickt das Management ein wenig in die Zukunft und passt sich dem Druck an, der von seinem Kundenkreis und Konkurrierenden ausgeht, um nicht in Verzug zu geraten.
- Zeigen und erzählen. Bei dieser Option entscheidet sich das Unternehmen dafür, mehr zu tun und der Welt davon zu erzählen, indem es Nachhaltigkeitsthemen aktiv in sein Marketing einbezieht. Professor Rosenberg weist darauf hin, dass ein schmaler Grat zwischen der „Zeigen und erzählen“-Strategie und dem „Greenwashing“ besteht, bei dem das Unternehmen ein Bild von seiner Marke zeichnet, welches nicht wirklich der Wahrheit entspricht. Marketing kann nichts anderes sein als der Grad der Überzeugung und Aufrichtigkeit des Unternehmens. Es besteht ein großes Risiko der Aufdeckung (z.B. der Volkswagen-Skandal). Das Unternehmen muss eine Kultur und ein Überwachungssystem haben, um diese Strategie freizuschalten.
- Für das Prinzip bezahlen. Bei dieser Strategie beschließt das Unternehmen, einige finanzielle Leistungskennzahlen zu opfern, um ethische und ökologische Standards zu erfüllen. Der Grund dafür ist nicht ein mittelfristiger Business Case, sondern die tiefe Überzeugung, dass die Eindämmung des Klimawandels auf der Unternehmensagenda stehen sollte. In diesem Szenario unternimmt das Unternehmen alle möglichen Maßnahmen, um nachhaltiger und zum Beispiel klimaneutral zu werden. Dies könnte unter anderem bedeuten, dass das Unternehmen auf rein vegane Mittagessen umsteigt, die teurer sind, oder dass es sich verpflichtet, die Kosten für den Kohlenstoffausgleich oder alle Firmenflüge zu übernehmen.
- Vorausschauend denken. Bei dieser Strategie hat das Unternehmen verstanden, dass es auch eine harte Geschäftslogik gibt, bei der Nachhaltigkeit einen Wettbewerbsvorteil schaffen kann. Das Unternehmen ist sich bewusst, dass es bei der Nachhaltigkeit eine Vorreiterrolle spielen muss, und taucht in eine kontinuierliche Nachhaltigkeitstransformation ein. Diese Strategie bedeutet, dass das Unternehmen in Bezug auf Nachhaltigkeitsthemen stets innovativ sein muss.
Schlussfolgerung
Mehr denn je liegt das Thema Nachhaltigkeit auf dem Tisch von Vorständen und Managementteams. Die für die Unternehmensstrategie verantwortlichen Personen müssen ein tiefes Verständnis für Fragen bezüglich Nachhaltigkeit haben, aber auch ein Verständnis für die Zukunft. Hierfür empfiehlt sich der Einsatz von Methoden wie Szenarioanalyse und Zukunftsdenken. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Einbeziehung des gesamten Unternehmens in die Nachhaltigkeitstransformation durch die gemeinsame Erarbeitung eines klaren und überzeugenden Ziels und einer Vision für die Zukunft. Die Menschen müssen mehr über diese Themen aufgeklärt werden, um zu verstehen, wo wir jetzt stehen. Als Organisationen und Einzelpersonen können wir etwas bewirken. Die Ziele für nachhaltige Entwicklung bieten einen hervorragenden Rahmen als Ausgangspunkt. Es ist an der Zeit, den Lösungen Vorrang vor den Problemen einzuräumen und zu verstehen, dass Nachhaltigkeit eine strategische Entscheidung ist.
Quellen
Rosenberg, Mike: A Strategic Approach to Sustainability (2016). IESE Insight.
https://www.youtube.com/watch?v=3gZPv1KIJ0U#
https://hbr.org/2020/01/making-stakeholder-capitalism-a-reality
https://www.weforum.org/sustainability-world-economic-forum
https://sustainabledevelopment.un.org/?menu=1300